Deutschlands Manövrieren gefährdet europäische Sicherheitspolitik
Das wirtschaftlich stärkste Land, das oft den Anschein erweckt zusammen mit Frankreich die dominierende Kraft in der EU zu sein, vergisst ausgerechnet in der Sicherheitspolitik auf die Verantwortung. Traditionell ist vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, verstärkt aber nach dem Mauerfall es für die deutsche Außenpolitik eigen sich in der Vermittlerrolle zu üben. Und dabei genießt Deutschland einen guten Ruf und ein politisches Gewicht – nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Dabei vergisst man in Berlin oft auf den Umstand, selbst Teil einer Union u sein, die nach außen hin ein starkes Bild abgeben muss. Die deutsche „Neutralitätspolitik“ und das ständige Manövrieren kann aber ausgerechnet für Deutschland zu einem Verhängnis werden. Umgemünzt auf den Mittelmeerkonflikt kann es sogar die gesamteuropäische Sicherheit langfristig gefährden.
Während Frankreich – zum Teil aus eigenen Interessen heraus – erkennt, wie wichtig ein aktives und rasches Vorgehen gegenüber türkischen Ambitionen in der Ägäis ist, übt sich Deutschland in einer meisterhaften Appeasement-Politik. Die türkische Außenpolitik weiß die deutsche Zurückhaltung du die europäische Uneinigkeit auszunutzen und pokert im Mittelmeerraum sowie im Nahen Osten hoch. Ein Hochrisikospiel, das wieder nach hinten ausschlagen kann, vor allem wenn man bedenkt, dass die Türkei sich zunehmend in der Nachbarschaft isoliert hat. Gefangen in der vorgeschobenen Neutralitätspolitik und dem Versuch einen Flüchtlingsdeal zu retten, vergisst Deutschland, dass ebenjene Türkei einen Teil eines EU-Landes besetzt und sich in offener Konfrontation mit Griechenland und Zypern befindet.
Deutsch-türkische Zweckpartnerschaft auf Kosten der europäischen Stabilität
Die Appeasement-Politik der Deutschen gegenüber der Türkei ist aber keine weltpolitische Neuheit. Das hat Geschichte und das hat vor allem Tradition, die hundert Jahre zurückgreift. Im Ersten Weltkrieg bereits galt das Osmanische Reich als einer der wichtigsten Bündnispartner des Deutschen Reiches. Es gilt heute als gesichert, dass die deutsche Generalität über die Vorgänge des Völkermordes wissend diese Gräueltaten geduldet hat. Auf Kosten der Auslöschung der christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich erkaufte sich das damalige Deutschland eine Zweckpartnerschaft. Auch 100 Jahre nach dem Völkermord war die Kanzlerin – anders als das Parlament – nicht bereit das Genozid-Wort auszusprechen, weil die Türkei für Deutschland ein wichtiger Partner ist.
Die Unberechenbarkeit der türkischen Spitze und wie sie mit den Flüchtlingen umgeht, zeigt die wahre Dimension eines Deals, das auf einem sehr dünnen Eis steht.
Denn die Türkei ist nicht nur ein NATO-Partner, sondern deutsche Soldaten sind in der Türkei stationiert. Eine Zuspitzung zwischen Deutschland und der Türkei könnte die Ausweisung der deutschen Soldaten zur Folge haben. Während Deutschland es gewohnt ist, eine offensivere Gangart gegenüber anderen Staaten – darunter etwa Russland oder China – anzulegen, übt sich Berlin in punkto Ankara in einer Duldungstaktik. Der zweite Umstand, weswegen die Türkei ein wichtiger Partner ist, ist der sogenannte Flüchtlingsdeal – eine kurzfristige Lösung, die langfristige Visionen braucht. Die Unberechenbarkeit der türkischen Spitze und wie sie mit den Flüchtlingen umgeht, zeigt die wahre Dimension eines Deals, das auf einem sehr dünnen Eis steht. Zu guter Letzt sollte man nicht den Umstand vergessen, dass es in Deutschland eine große türkische Community gibt. Von jenen, die bei den türkischen Wahlen gewählt haben, hat der Großteil dabei mit Erdogan sympathisiert. Eine starke Präsenz der Grauen Wölfe, dubioser Vereine dienen dabei als eine Art fünfte Kolonne für Erdogan. Bekommt der Autokrat am Bosporus ständig das was er will, könnte es sich zu einer Regelmäßigkeit entwickeln.
Berlins Appeasement könnte zurückschlagen: Türkische Erpressungspolitik könnte zur Routine werden
Offene Kriegsdrohungen der Türkei Richtung eines EU-Landes sind keine Nebensächlichkeit und kein kleiner Zwischenfall. Und das nicht seit gestern. Seit Jahren schwächelt die türkische Wirtschaft und Innenpolitik. Um davon abzulenken, die Nationalisten hinter sich zu vereinen und die Ressourcenfrage zu lösen, scheut die Türkei seit Jahren nicht vor Eskalationen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Einen Anspruch auf fremdes Territorium zu stellen, den Luft- und Seeraum auf täglicher Basis zu verletzen, sollte nicht als eine Unwichtigkeit abgetan werden. Obwohl Vergleiche mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg verpönt sind, gibt es zumindest eine starke Parallele: Während ein Staat die rechtsextreme Rhetorik mancher gesellschaftlicher Randgruppen zur offiziellen Außenpolitik ausruft, schaut man in Europa vielerorts zu. In einer Zeit, in der die Türkei mit einer anti-türkischen Allianz im Mittelmeerraum (Griechenland, Zypern, Ägypten, Frankreich und teilweise Israel) einerseits und Spannungen im Nahen Osten (Syrien, Iran und Irak) konfrontiert ist, ergibt sich eine window of opportunity. Eine window of opportunity, um die türkische Erpressungspolitik in die Schranken zu weisen, sowohl innen- als auch außenpolitisch.
Die Passivität Deutschlands macht die EU zu einem unzuverlässigen und vor allem in dieser Frage zerstrittenen Spieler. Die EU braucht eine stärkere deutsche Außenpolitik. Eine Außenpolitik, die auf Langfristigkeit aufbaut und nicht versucht ohnehin gescheiterte Projekte kurzfristig zu retten. Eine mutigere deutsche Außenpolitik könnte nicht nur den türkischen Großraumambitionen ein Ende bereiten, sondern auch andere unsichere Länder in der EU nach sich ziehen. Ein positiver Domino-Effekt, der die weitgehende Isolierung der Türkei und die Unterstützung der EU-Staaten Griechenland und Zypern zur Folge hätte. Etwas, was der französische Partner seit Jahren offen praktiziert. Ob aus eigenem Interesse heraus oder nicht, ist Frankreich zusammen mit einigen anderen europäischen Staaten wie etwa Österreich heute die konsequente Stütze einer aktiven europäischen Außenpolitik. Eine aktive Außenpolitik, die einerseits darauf bedacht ist, den eigenen Partner Griechenland auf militärischer Ebene zu unterstützen, gleichzeitig ein Gegengleichgewicht zur Türkei im Mittelmeerraum zu stellen.
Österreichisch-französische Nachhilfe für Deutschland
Dass der Konflikt nicht bereits zu einem großflächigen Militärkonflikt entfacht ist, ist nicht zuletzt der französischen Präsenz zu verdanken. Anders als Deutschland, standen die Franzosen in der Geschichte oft auf der Gegenseite der Türkei und haben auch vor hundert Jahren beim Völkermord nicht nur zugeschaut, sondern aktiv zugunsten christlicher Minderheiten eingegriffen. Nur zu gut wissen und kennen die Franzosen, was eine türkisch-nationalistische Außenpolitik für die Region bedeuten kann. Wenn die EU sich langfristig als ein gleichrangiger Player konsolidieren will, muss es in den wichtigen sicherheitspolitischen Fragen stärker und besser zusammenarbeiten. Deutsche und ungarische Querschüsse und vorgeschobene Appeasementpolitik sind dabei kaum dienlich. Zwei Jahrzehnte türkische Außenpolitik unter Präsident Erdogan dürften ausreichend sein, um zu sehen, dass Beschwichtigungspolitik nicht funktioniert und fatale Folgen haben kann.
Zwei Jahrzehnte türkische Außenpolitik unter Präsident Erdogan dürften ausreichend sein, um zu sehen, dass Beschwichtigungspolitik nicht funktioniert und fatale Folgen haben kann.
Neben Frankreich macht auch das mittelgroße Österreich seit Jahren musterhaft vor wie tatsächliche europäische Solidarität in punkto Sicherheitspolitik ausschaut: Nämlich die Bekämpfung jeglicher türkisch-nationalistischer Präsenz im Inland und die vollkommene Unterstützung für das Unionsmitglied Griechenland. Das hat Österreich bereits in mehrere offene Konfrontationen und Wortwechsel zwischen Wien und Ankara gebracht. Das kleinere Übel, das quasi notwendig ist, um das größere zu vermeiden. Von den deutschen Nachbarstaaten Österreich und Frankreich kann und soll Berlin noch einiges lernen.