Klemens von Metternich: Visionär, Friedensmacher und Urvater der Diplomatie
Als einen seiner ideologischen Ziehväter wird der amerikanische Ex-Außenminister Henry Kissinger den österreichischen Diplomaten und Kanzler Klemens von Metternich bezeichnen. Dabei ist der Name Metternich einerseits ein Synonym für eine brillante österreichische Diplomatie, gleichzeitig aber auch für innenpolitische Einschränkungen, die als das „Metternich’sche System“ verstanden werden.
Einem der größten Diplomaten der neuzeitlichen Geschichte wird dabei Unrecht getan, wenn der Name ausschließlich negativ konnotiert. Es lohnt sich aus einem guten Grund die Leistungen des ehemaligen Außenministers und Staatskanzlers, eines der größten Visionäre des 19. Jahrhunderts und Friedensmachers zu würdigen. Es ist dabei ebenso wichtig ein Verständnis für die innenpolitischen Handlungen, etwa die Zensur, zu schaffen – ein langfristiges, von außenpolitischen Zielen getriebenes Verständnis. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es wichtig die Politik des ehemaligen Staatskanzlers und Außenministers auf Grundlage des damaligen Zeitgeistes, den sicherheitspolitischen Hintergründen und der Friedenspolitik nach außen zu betrachten.
Wien: Die Drehscheibe der internationalen Politik und High Society
Heute würde man Metternich als einen klassischen Vertreter der Realpolitik bezeichnen. Ein konservativer, pragmatischer Machtpolitiker und ein ausgezeichneter Stratege, der den Grundstein für einen hundertjährigen mehr oder minder stabilen Frieden legte. Als Kind einer von Napoleon dominierten Ära und als Gesandter in Paris kannte er den französischen Diktator und späteren Feldherren so gut wie kein anderer. Bis zum Ende seiner politischen Karriere prägten die napoleonischen Kriege sein politisches Handeln – sowohl international als auch innenpolitisch. Dabei galt als Maxime seines Handelns, einen weiteren gesamteuropäischen Krieg mit jedem Preis zu verhindern. Metternich sah dabei zwei wesentliche Probleme: Zum einen die nationalistischen Freiheitsbewegungen, die die alte Ordnung in Europa auf den Kopf stellen würden und das Gleichgewicht der Mächte. Dazu aber später noch mehr.
Über mehrere Monate hinweg soll Wien nicht nur die internationale Bühne der Diplomatie gewesen sein, sondern auch das Zentrum der europäischen High Society.
Die Zeit um den Wiener Kongress galt mit Sicherheit als die Sternstunde des österreichischen Diplomaten zusammen mit den Vertretern der anderen Siegermächte und Frankreich. Zunächst wurde Wien nicht zuletzt durch die Bemühungen Metternichs 1814 und 1815 zur Drehscheibe der internationalen Politik. Über mehrere Monate hinweg soll Wien nicht nur die internationale Bühne der Diplomatie gewesen sein, sondern auch das Zentrum der europäischen High Society. Aus dieser Zeit kommt der Ausdruck „Der Wiener Kongress tanzt, bewegt sich aber nicht“. Damit ist das dominierende Kulturprogramm – geprägt von Bällen – gemeint und die Verhandlungen, die dadurch in den Hintergrund rückten. Während dennoch trockene Verhandlungen zu Detailfragen von Fachexperten geführt wurden, konnten bei wichtigen Veranstaltungen bei lockerer Atmosphäre Kontakte gestärkt werden.
Die wesentlichen Akteure des Kongresses waren auf österreichischer Seite Klemens von Metternich selbst und der Spitzenbeamte Friedrich von Gentz, der ebenso eine federführende Rolle einnahm. Eines der wichtigsten Ziele des Kongresses war es – vor allem gefordert von Österreich und Großbritannien – ein Gleichgewicht der Mächte zu schaffen. Es galt als wichtig einerseits Frankreich zu schwächen und zu isolieren – dies aber nur soweit zu tun, sodass Frankreich im künftigen Spiel der Mächte Europa mitbalancieren würde. Als Bollwerk gegen eine mögliche französische Aggression wurde etwa ein größerer Benelux-Staat geschaffen, der so stark sein sollte, um als Vorposten gegen Frankreich zu fungieren. Durch die Beschneidung der Stärke Frankreichs war es – vor allem für Österreich und Großbritannien – wichtig nicht zuzulassen, dass sich ein zu starkes Land etabliert. Dabei galt die Sorge nicht zuletzt auch Richtung Russland. Eine zu starke Macht könnte das Gleichgewicht der Mächte ins Wanken bringen und einen künftigen Krieg wahrscheinlicher machen.
Revolutionen und Nationalismus: Die Schreckgespenster europäischer Fürsten
Aus heutiger Sicht sehen viele in Metternich einen rückwärtsgewandten Reaktionär, der ein Zensurapparat etablierte. Die Motivation hinter Metternichs konservativer Geisteshaltung ist nicht nur etwas, was ihm eigen war, sondern – geprägt durch die Revolution in Frankreich – für viele Monarchen ein Schreckgespenst war. Durch die Bewahrung der alten Ordnung wollte Metternich vor allem zwei Szenarien vorbeugen: Die revolutionären Bewegungen, die Frankreich anfangs in einen Terrorstaat stürzten und anschließend einen Diktator etablierten, wollte man in Resteuropa mit allen Mitteln vermeiden. Die Revolutionen wurden von den Fürsten größtenteils in einem negativen Licht betrachtet: Viel zu erdrückend waren die Erfahrungen mit Frankreich und natürlich wollten die Fürsten ihre Macht nicht aufgeben. Aus der Zeit der französischen Revolution entwickelte sich nicht zuletzt auch die konservative Ideologie durch Edmund Burke in Großbritannien, dem eine evolutionäre anstelle einer revolutionärer Entwicklung zugrunde liegt. Der zweite Aspekt betrifft die neu aufkommenden liberalen Ideen, die nationale, wenn nicht sogar nationalistische Bewegungen hervorbrachten. Dazu muss man wissen, dass Nationalstaaten so wie wir sie heute kennen, nicht dem damaligen Staatsverständnis entsprachen. Sie bargen vor allem auch die Gefahr, den Zerfallsprozess von multiethnischen Staaten voranzutreiben.
Die Revolutionen wurden von den Fürsten größtenteils in einem negativen Licht betrachtet: Viel zu erdrückend waren die Erfahrungen mit Frankreich…
Die Nationalbewegungen, die nicht zuletzt Napoleon auszunutzen wusste, galten im Verständnis vieler zeitgenössischer Politiker als ein Pulverfass. Die innenpolitischen Akzente, die von Metternich gesetzt wurden, galten nicht primär dem Machterhalt, sondern wurden durch ebendiese Befürchtungen vorangetrieben. Das soll nicht die Maßnahmen in punkto Geheimpolizei und Zensurapparat beschönigen, sehr wohl aber das rein machiavellistische Profil eines Metternichs in ein richtigeres Bild rücken.
Die Heilige Allianz und die Politik des Gleichgewichts
Die Heilige Allianz galt als eine weitere Errungenschaft und kann als eine Art lose Vorgängerorganisation eines Sicherheitsrates im weitesten Sinne verstanden werden. Unter der Prämisse, dass Konflikte möglichst auf diplomatischem Wege durch die Vermittlung der Großmächte gelöst werden sollten, einigten sich die führenden Staaten Österreich, Preußen und Russland auf ein koordiniertes Vorgehen. Die Heilige Allianz hatte vor allem aber auch den Zweck der gegenseitigen Hilfe im Falle von innenpolitischen Revolutionen und galt als Instrument des Gleichgewichtes. Diese Allianz führte nicht zuletzt dazu, dass 1848 russische Truppen auf Ansuchen der österreichischen Regierung zur Hilfe kamen. Das Bündnis dennoch auf einen Fürstenverein zu beschränken, die sich gegenseitig halfen, um gegen die eigenen Bevölkerungen vorzugehen, ist zu kurz gegriffen. Zum einen war der Antrieb für dieses Handeln die aus der Sicht der Mächte liberal-nationalistische Gefahr. Zum anderen fungierte sie aber durchaus als ein Werkzeug, womit viele Jahre lang große Konflikte vermieden werden konnten.
Werfen wir einen Blick auf das Jahr 1914, können wir die nationalistischen Bewegungen, die zu diesem Zeitpunkt ihren Höhepunkt erreichten, durchaus als einen wesentlichen Anstoß für den Ersten Weltkrieg werten. Historiker streiten dabei, ob Metternich durch sein Handeln ebendiese Entwicklung ein Jahrhundert lang verhindern konnte, oder ob seine Politik zur Radikalisierung dieser Bewegungen führte. Was wir rückblickend aber festhalten können, ist die Tatsache, dass durch die neugeschaffene Sicherheitsordnung 1814/15 in Wien bis 1914, also ein Jahrhundert lang großflächige Kriege erfolgreich verhindert werden konnten. Das Jahrhundert gilt – bis auf die deutschen (und teilweise italienischen) Einigungskriege, die lokal begrenzt und vergleichsweise klein waren – als eine sehr friedliche Epoche bezugnehmend auf die Sicherheitspolitik. Eine führende Rolle spielte dabei – vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Otto von Bismarck, der nach der Beendigung der Einigungskriege, eine defensive Politik des Gleichgewichts verfolgte.
Viele Konflikte konnten tatsächlich diplomatisch gelöst werden. Durch die Restauration der alten Ordnung konnten zumindest zeitweise große Umbrüche verhindert werden. Nicht zuletzt durch die bereits erwähnte Politik des Gleichgewichtes, des Taktierens und der Zweckbündnisse konnte ein großflächiger Krieg weitestgehend verhindert werden. Dazu schuf der Wiener Kongress – etwa durch das Arbeiten unterschiedlicher Fachgruppen und einem abgestimmteren Vorgehen zwischen den Staaten – eine wichtige Vorstufe moderner Diplomatie.
Ein Sinnbild der Realpolitik: Die späte Würdigung eines Friedenmachers
Es ist wichtig das System Metternich kritisch zu beleuchten. Genauso wichtig ist es aber, zum einen die Motive dahinter verstehen und die Verdienste von Klemens von Metternich im Bereich der internationalen Politik zu würdigen. Die Verdienste, dass ein modernes Sicherheitssystem etabliert wurde und das 19. Jahrhundert von großen Kriegen verschont blieb. Das sind die Verdienste des Urvaters der modernen Diplomatie, eines Friedenmachers und Visionärs, dessen präventives Handeln – geleitet durch Angst – ihn zu einem Reaktionär machten. Für sein innenpolitisches Handeln musste Metternich letzten Endes einen hohen Preis bezahlen – nämlich 1848 für wenige Jahre ins Exil gehen. Somit ist die Beschränkung von Metternich auf die Versinnbildlichung eines Polizeistaates zu kursichtig. Er war ein Staatsmann, der wie viele vor und nach ihm Ecken und Kanten besaßen. In erster Linie war er ein brillanter Außenpolitiker und Stratege, ein Kind seiner Zeit, der alles an einer gesamteuropäischen Stabilität setzte.